Was kommt auf uns zu?
Ein Herauswachsen aus der europäischen Schuldenkrise ist sehr unwahrscheinlich, dafür wäre mindestens ein Wirtschaftswachstum wie in einigen Schwellenländern notwendig. Dort sind 3 bis 7 Prozent nicht unüblich, wie realistisch ist das für die Eurozone?
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Ebenso ist ein "Weginflationieren" der Schulden nicht zu erwarten, wie im zweiten Teil der Artikelserie erläutert.
Eine restriktive Sparpolitk lässt sich in einer Demokratie nicht lange durchsetzen. Die meisten Leute fühlen sich für hohe Schulden und sonstige wirtschaftliche Probleme nicht verantwortlich. Sie interessiert auch mehr das eigene individuelle Umfeld. Und wenn die Regierung plötzlich daherkommt und anfängt Gelder oder sonstige Annehmlichkeiten zu kürzen oder gar zu streichen, werden die meisten Menschen bei der nächsten Wahl kurzerhand die Opposition oder sogar eine extremistische Partei wählen.
Schulden restrukturieren
Bleibt als einzige realistische Option die Schulden zu restrukturieren.
Schulden zu restrukturieren hört sich so harmlos diplomatisch an, bedeutet aber letztendlich nichts anderes als dass der Schuldner seine Schuld nicht komplett oder nur mit Hilfe dritter Parteien begleicht oder aber sogar die Zinslast - selbst ohne Tilgung - nicht mehr bewältigen kann.
Aus meiner Sicht gibt es dafür zwei übergeordnete Szenarien. Solange kein Land aus der Eurozone austritt, wird der Weg eindeutig zu einer Transferunion gehen. Das bedeutet, die ärmeren Länder bekommen von anderen Staaten der Eurozone finanzielle Unterstützung. Im idealen Fall gleichen sich die Hilfen im Laufe der Jahre aus. An einem konkreten Beispiel der Arbeitslosenversicherung ging das Thema im Spätsommer 2014 durch die Medien, hier der Bericht von der FAZ.
Das Niedrigzinsumfeld mit finanzieller Repression bleibt uns in jedem Fall erhalten. Wobei der Effekt der finanziellen Repression infolge ausbleibender hoher Preissteigerungsraten nur noch gering sein wird und womöglich gänzlich schwindet. Daher ist anzunehmen, dass die Politik bei diesem Szenario im Laufe der Zeit an verschiedenen Stellen zu neuen Abgaben und Steuererhöhungen greift. Denn bei schwachem wirtschaftlichen Wachstum und zurückhaltender Binnennachfrage, werden - erst recht aufgrund der demographischen Veränderungen - weitere Gelder für Sozialausgaben jeglicher Art benötigt. Bereits in einem früheren Artikel habe ich angenommen, dass zukünftig die Kapitalertragssteuer ansteigen wird. Auch bei Immobilienbesitzern werden zukünftige Regierungen ziemlich einfallsreich sein, um mehr Geld in die Staatskassen zu bekommen.
Ein weniger wahrscheinliches Szenario sollte man jedoch auch im Hinterkopf behalten. Und zwar ein akutes Aufflammen der Finanz- und Bankenkrise, damit verbunden wäre - statt den Umweg über höhere/zusätzliche Steuern zu gehen - eine aggressive Enteignung durch eine Vermögensabgabe. In einem früheren Artikel hatten wir gesehen, dass der IWF zumindest über ein 10-prozentige Vermögensabgabe nachgedacht hat. Diesen Punkt lassen wir im vierten Punkt der Artikelserie, wenn es um die Geldanlage geht, nicht völlig unberücksichtigt.
Wie sieht das Leben im Alltag für uns aus?
Die Globalisierung sorgt bereits seit vielen Jahren dafür, dass in einigen Bereichen die Preisentwicklung insgesamt abwärts tendiert. Das haben noch vor der Jahrtausendwende schmerzlich die Bergbauarbeiter im Ruhrgebiet gespürt, als der Import von Kohle aus Südamerika deutlich günstiger war als diesen Rohstoff "teuer" in Deutschland zu fördern. Oder das Internet mit den zahlreichen Preisvergleichsportalen. Wer keinen nachvollziehbaren Mehrwert oder keine besondere "Aura" um seine Dienstleistung oder sein Produkt anbieten konnte, sah sich plötzlich inmitten von Preiskämpfen. Die Preisvergleichsportale sorgen daher auf keinen Fall für steigende Preise. Denn technische Innovation, intensiverer Wettbewerb und erhöhte Vertriebseffizienz durch das Internet sorgen für einen nachlassenden Preisauftrieb. Ein schöner Artikel dazu auch vom Wellenreiter.
Zunächst einmal sind stagnierende oder teilweise rückläufigen Preise für die Bürger angenehmer, denn für das verfügbare Geld kann man sich mehr leisten. Allerdings werden bald auch die Gehälter stagnieren. In Deutschland betrug die durchschnittliche Gehaltssteigerung zuletzt noch 3 Prozent, doch sollte sich dieser Wert im Mittel nach unten bewegen. Zumal in den Chefetagen vieler Betriebe die offiziellen Inflationsraten bei Gehaltsanpassungen zumindest mit berücksichtigt werden.
Sanfte Deflation
Jetzt kommt es darauf an. Sinkt die Preissteigerungsrate weiterhin nur relativ langsam und sollten sich die Löhne entsprechend mitentwickeln, könnte sich sich ein für einige Zeit relativ stabiler Zustand einstellen. Es gibt dann noch immer Waren oder Dienstleistungen, deren Preise (etwas) steigen, aber auch vieles, was im Preis (leicht) sinkt. Mit den kaum noch steigenden Löhnen würde die Kaufkraft in etwa erhalten bleiben oder nur langsam zurückgehen, so dass sich viele Menschen darauf einstellen können.
Würde dagegen der allgemeine Preisverfall ziemlich schnell gehen und die "Inflationsraten" deutlich ins Minus sinken, setzt die bekannt-berüchtigte Deflationsspirale ein: In Erwartung weiter fallender Preise halten sich die Konsumenten mit Käufen zurück, was Unternehmen zu weiteren Preisnachlässen und in der Folge zu nur noch eingeschränkter Produktion von Waren und Angeboten von Dienstleistungen zwingt, Investitionen werden verschoben oder bleiben gänzlich aus. Anschließend müssen die Betriebe Kosten sparen und zu Entlassungen und Kurzarbeit übergehen und landen möglicherweise dennoch in der Insolvenz. Dieses Szenario trat in den USA, aber auch in Europa während der schnellen Deflation und Weltwirtschaftskrise in den Jahren 1929 bis 1932 auf.
Bereits der frühere deutsche Ökonom Arthur Salz erkannte: „Es ist das rasche und plötzliche starke Sinken und Steigen der Preise, nicht etwa das Sinken der Preise an sich, was die Störung der ganzen Wirtschaft bedingt.“
Vergleich mit Japan
Am besten lässt sich die zukünftig zu erwartende Situation mit Japan vergleichen. Dort herrschte eher die erstgenannte langsame Deflation. Zwar mussten die Menschen dort im Laufe der Zeit Lohnsenkungen in Kauf nehmen, aber Berichten zufolge hat man nicht den Eindruck, dass es den Japanern deswegen besonders schlecht geht.
Im kurier.at berichtet ein in Japan lebender Österreicher über das Leben in Japan. So heißt es:
"Die Sehenswürdigkeiten, Flughäfen, Bahnhöfe oder öffentlichen Plätze sind vor allem in den großen Städten wie Tokio, Kyoto oder Osaka bestens gepflegt. Die Infrastruktur zählt zu den modernsten und effizientesten der Welt. Die Zentren erleben auch weiterhin einen Zuwachs an Bevölkerung, einen Anstieg der Grundstückspreise und regen Tourismusverkehr aus dem Ausland. In vielen Bereichen, wie zum Beispiel bei neuen Produktionsprozessen oder Werkstoffen ist Japan auch weiterhin noch weltweiter Trendsetter."
Das hört sich für eine über zwei Jahrzehnte lang andauernde Deflation jetzt nicht besonders schlimm an. Jedoch heißt es weiter:
"Die verlorenen Jahrzehnte gepaart mit dem Problem der Abwanderung und der Bevölkerungsabnahme werden vor allem in den kleineren Städten und Gemeinden am Land sichtbar. Die Jugend wandert ab in die großen Städte, kleinere Industriebetriebe sind international nicht mehr konkurrenzfähig und das Potenzial als Tourismusort ist oft ungenützt. Öffentliche Anlagen wie Schauspielhäuser oder Mehrzweckhallen, die vor dreißig Jahren für eine boomende Wirtschaft und junge Bevölkerung gebaut wurden, können nicht mehr erhalten werden."
Auf Deutschland übertragen kommt uns dieses Phänomen der Bevölkerungswanderung doch bereits ziemlich bekannt vor. Vor allem junge Menschen zieht es mehrheitlich in größere Städte wie Hamburg, Berlin, Dresden, München oder Frankfurt wie auf dem demografie-portal gut zu sehen ist. Dieser Trend könnte sich auch hierzulande noch verstärken.
Fazit
Zeiten einer Deflation müssen nicht zwingend gleichbedeutend sein mit Verelendung und Massenentlassungen. Insgesamt lässt es sich mit einigen Abstrichen doch noch ganz gut leben. Allerdings sind auch viele Fragezeichen damit verbunden. Kann man in Deutschland wirklich auf breiter Fläche über mehrere Jahre gleichbleibende oder sogar sinkende Nominallöhne durchsetzen? Ist die Mentalität in Japan nicht eine andere und hierzulande würde es bei sinkenden Löhnen eher zu massenhaften Protesten und Streiks kommen?
In diesem Artikel habe ich jetzt einige mögliche Szenarien angesprochen, die ich durchaus für wahrscheinlich halte und nicht gleich in ein Horrorszenario münden müssen.. Aber natürlich lässt sich heute noch keine sichere Prognose wagen. Sollte in den kommenden Jahren doch noch ein merkliches Wirtschaftswachstum in der Eurozone einsetzen, habe ich mich an dieser Stelle gerne geirrt.
Das war der dritte Teil der Artikelserie "Was bedeutet Deflation in der Eurozone für uns?" über mögliche zukünftige Szenarien. Die meisten Leser möchten jedoch wissen, wie man in einer längeren Phase eines deflationären Umfelds mit niedrigen Zinsen am besten sein Geld anlegt. Dazu mehr im vierten Teil der Serie.
Folgende Artikel der Serie "Was bedeutet Deflation in der Eurozone?" sind bereits erschienen:
Teil 1 - Was sind die Symptome der fehlenden Inflation?
Teil 2 - Was sind mögliche Gründe der Deflationsgefahr?
Teil 3 - Das Leben in einem deflationären Umfeld
Teil 4 - Welche Anlageklassen sollten Geldanleger in einer Deflation bevorzugen?
Zum Weiterlesen:
- Buchbesprechung: Alles, was Sie über das Kapital im 21. Jahrhundert von Thomas Piketty wissen müssen
- Europa und Japan wirtschaftlich im Gleichschritt!?
- Was bedeutet ein fallender Euro für uns Anleger?
- Der Kampf der EZB gegen die Deflation in Europa
- Buchbesprechung: Die Krise von Daniel Stelter
- Werden die Leitzinsen in der Eurozone jemals wieder deutlich angehoben?
- Buchrezension: Die 24 wichtigsten Regeln der Wirtschaft
- Bericht über den Börsentag Berlin 2014 und Ausblick auf die Kapitalmärkte
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